Nicht nur Hintern auf Kirchenbänken zählen

  • Christina Schramm

Für die Weiterentwicklung von Gemeinden braucht es die für die Zukunft eine Vielzahl kirchlicher Strukturen, vielfältige kleine Hoffnungsgemeinschaften, in denen Menschen alltagsrelevante Glaubenserfahrungen machen können, erklärt Privatdozentin Dr. Sabrina Müller bei ihrem Vortrag zur Rolle der Seelsorge in der Kirche- und Gemeindeentwicklung auf der Landessynode. Müller ist Geschäftsleiterin des Universitären Forschungsschwerpunktes Digital Religion(s) und Mitglied der Leitung am Zentrum für Kirchenentwicklung der Theologischen Fakultät an der Universität Zürich.

„Die Religion in der Moderne ist eine Erfahrungs-Religion: Es kommt den Menschen heute sehr auf persönliche Spiritualität an und die persönlichen Erfahrungen im Alltag, die sie dabei machen“, sagt Dr. Sabrina Müller. Diese Erfahrungen hätten eine transformative Kraft, „im Sinne einer Hoffnungsperspektive“. An diese Hoffnungsperspektive gelte es anzuknüpfen.

Qualität lässt sich nicht mit Hintern auf Bänken messen

Bei der Kirchenentwicklung liege der Fokus aber häufig auf Zahlen, statt auf Qualität: „Das Messen an Zahlen ist an sich ja nicht falsch, aber was ist mit dem qualitativen Aspekt? Der Inhalt der Seelsorge in Gemeinden ist auch Inhalt der Qualität von Kirche“, sagt Müller. „Das können wir nicht mit ,bums on the seat‘ messen, also mit Hintern auf Kirchenbänken.“ Kirche müsse daher viel stärker auf das sinnsuchende und lebensbedeutende Individuum ausgerichtet sein. Sie bekomme dann Relevanz, wenn sie Partnerin für unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Zusammenhängen werde. Und dazu brauche es eine Vielfalt von Strukturen.

Kleinräumig Hoffnung teilen und Beziehungen knüpfen

Es müsse kirchliche Biodiversität entstehen: „kirchliche Hoffnungsgemeinschaften in Netzwerken, vor Ort, in Quartieren, in Cafés.“ Die Gemeinschaft von Menschen basiere mehr und mehr auf Erfahrungen und geteilten Interessen, deshalb müsse Kirche zu einem Begegnungs- und Erfahrungsort werden, an dem Menschen Beziehungen knüpfen, sich um einander kümmern und Hoffnungen teilen können. „Kirchenentwicklung braucht ergänzend verschiedene Formen von Kirche, die zusammenspielen durch gemeinsame Werte – kleine Gemeinschaften, die einander tragen und unterstützen, eingebunden in ein größeres System von Gemeinden“, erläutert Müller und verweist auf die sogenannten „pionieering places“, die es bereits gibt und in denen verschiedene Gemeinschaftsformen ausprobiert werden können – zum Beispiel die Erprobungsräume in der Evangelischen Kirche im Rheinland.

17. Januar 2022