Drei neue Leitbilder für ein anderes Selbstverständnis als Kirche

Impulspapier „Lobbyistin der GOTT-Offenheit“ will Diskussion anregen

  • 15.1.2021
  • Ekkehard Rüger
  • Petra Warrass

Düsseldorf. Die Evangelische Kirche im Rheinland soll sich vom Selbstverständnis als Volkskirche verabschieden und neu definieren. Das ist vor dem Hintergrund der in der Freiburger Studie 2019 prognostizierten Halbierung der Zahl der Kirchenmitglieder in den nächsten 40 Jahren ein zentrales Anliegen des Impulspapiers „Lobbyistin der GOTT-Offenheit“ des Ständigen Theologischen Ausschusses. Die Landessynode hat es als Diskussionsbeitrag zur Zukunft der rheinischen Kirche begrüßt und die Kirchenleitung um Weiterarbeit an den darin aufgeworfenen Fragestellungen gebeten.

Die Thesen sollen in die Haushaltskonsolidierung 2.0 einfließen, das Papier selbst veröffentlicht werden. Denn es versteht sich auch als Anregung zur weiteren Diskussion in Kirchengemeinden und Kirchenkreisen sowie mit den ökumenischen Partnern. Das Papier plädiert dafür, das „Minderheitskirche-Werden“ als theologische Aufgabe anzunehmen und die Suche nach leitenden Bildern, Begriffen und Metaphern zu beginnen.

Aktivistin für Nächstenliebe, Bündnispartnerin und „Agentin des Wandels“

Drei Leitbilder werden vorgeschlagen. Die „Lobbyistin der Gottoffenheit“ versteht Kirche als parteiliche Aktivistin für einen offenen Himmel, also für die neugierige Frage nach Gott, für Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Die „Teamplayerin“ sieht Kirche als Bündnispartnerin, um ihrer Botschaft Gehör zu verschaffen. Das gilt für andere Religionsgemeinschaften wie auch für andere zivilgesellschaftliche Akteure. Die „Agentin des Wandels“ schließlich steht für eine Kirche, die als Alternative zum aktuellen Wachstumsethos eine Ethik des Genug entwickelt, Motor für regionale Nachhaltigkeitsinitiativen wird und dabei auch selbst verbindliche Maßnahmen der Klimagerechtigkeit umsetzt. „Die Relevanz von Kirche liegt nicht in möglicher Dominanz, sondern in ihrem auf Dauer unverzichtbaren Beitrag zum Ganzen“, heißt es in dem Papier.

Öffentliches Reden und Handeln der Kirche im Mittelpunkt

In den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen die Autorinnen und Autoren das öffentliche Reden und das öffentliche Handeln der Kirche. Dabei beschreiben sie vier Dimensionen öffentlichen Redens (pastoral, diskursiv, politikberatend und prophetisch) als gesellschaftlichen Beitrag der Kirche. Gerade die Vorstellung einer prophetischen Kirche sei zukunftsweisend. Widersprochen wird zumindest teilweise dem gerade in der Corona-Krise lautgewordenen Vorwurf, die Kirche sei nicht wahrnehmbar und lasse Menschen allein. Oft werde ein Schweigen beklagt, „auch wenn sich örtliche und regionale AmtsträgerInnen und Einzelpersonen prominent öffentlich äußern“, eben evangelisch: vielstimmig und dezentral.

Verstärkte Frage nach Professionalität und Qualität

Mit zurückgehenden Ressourcen und einer Situation, in der nicht mehr alle kirchliche Arbeit aufrechterhalten werden könne, stelle sich verstärkt die Frage nach Professionalität und Qualität, sind die Verfasserinnen und Verfasser überzeugt. Diese Frage müsse behandelt werden, „ohne Menschen zu beschämen, aber auch ohne alles immer als gleich gut zu bezeichnen“. Gefordert wird eine Debatte über eine barrierefreie Kirche, die sich konsequent von allen Barrieren verabschiedet, die den Zugang zu ihr und ihren Angeboten erschweren. Die Kirche müsse auch bereit sein, darüber zu diskutieren, in welcher Weise sie staatliche oder städtische Unterstützungsgelder mit anderen Religionsgemeinschaften teilen könne, und ihr Steuerprivileg und die Staatsleistungen zur Debatte stellen. Ein Ziel könne sein, „weniger abhängig von politischer Macht und den prägenden gesellschaftlichen Gruppen zu sein“ und sich eher als „unabhängiges Gegenüber“ zu verstehen.