Grußwort von Professor Dr. Daniele Garrone,
Evangelische Kirche der Waldenser und Methodisten, Rom
anlässlich der Landessynode 2006
der Evangelischen Kirche im Rheinland
Sehr verehrter Herr Präses,
hohe Synode, liebe Schwestern und Brüder,
ich grüße Sie alle ganz herzlich im Namen der Kirche der Waldenser und Methodisten in Italien und insbesondere im Namen der Moderato-rin. Zum ersten Mal in unserer Geschichte wurde eine Frau zur leiten-den Geistlichen der Waldenser Kirche gewählt. Das sind die unver-meidbaren Folgen der Zulassung der Frauen zum Pfarramt. Nach der Wahl wurde sie von einer Journalistin befragt. „Kann man sagen, um es den Italienern verständlich zu machen, dass Sie die Vikarin Christi sind, etwa wie eine Päpstin der Waldenser?“ Selbstverständlich ant-wortete sie. „Nein“ und versuchte zu erklären, wie die presbyterial-synodale Auffassung der Ämter in der Kirche aussieht. Ergebnis: Am Tage danach haben wir in den Zeitungen gelesen, dass eine Modera-torin keine Vikarin Christi ist, sondern direkt die Vikarin Gottes.
Lassen Sie mich nun zwei Punkte erwähnen.
Zuerst zur presbyterial-synodalen Ordnung, die ein Thema Eurer Sy-node ist. Vor einigen Jahren war ich im Pressedienst unserer Synode tätig. Journalisten wollten jeden Tag etwas Brisantes hören, etwas Sensationelles, sonst hätten sie nichts mitzuteilen gehabt. Womöglich suchen die Journalisten immer einen Knaller. Sie suggerieren sogar Themen, die für die Öffentlichkeit von Interesse sein könnten. Lesben und Schwule, sexuelle Ethik, Abtreibung, Sterbehilfe, Bioethik, Irak und Bush oder, was dieses Jahr bevorzugtes Thema war: Den kranken, bzw. sterbenden, bzw. verstorbenen, bzw. zu beerdigenden, bzw. so-fort anzusprechenden, bzw. zu wählenden, bzw. gerade frisch gewähl-ten neuen Papst.
Was die Synode angeht, verlangt die Presse, dass wir über solche aktuellen Themen schon Presseerklärungen machen, bevor die Syno-de sie behandelt hat. Ich erinnere mich daran, dass einmal eine Journalistin sich nicht damit zufrieden geben konnte, dass ich ihr sagte: „Heute gibt es für Sie nichts.“ Da sagte sie: „Aber was soll ich schrei-ben?“ Ich habe ihr geantwortet: „Ich gebe Ihnen einen guten Ratschlag, und wenn Sie meinem Ratschlag folgen, werden Sie bestimmt in Italien einen Knaller machen.“ Da war sie plötzlich gereizt. Mein Ratschlag war: „Versuchen Sie den normalen und vielleicht auch langweiligen Alltag einer reformierten Synode Ihren Lesern zu erklären. Wenn Sie ihn nur verstanden haben! Dieser normale und ab und zu auch lang-weilige Alltag ist ökumenisch, kulturell und sogar politisch viel relevan-ter als die profilierten Erklärungen, auf die Sie warten. Erklären Sie der Öffentlichkeit Italiens, dass unsere Synode – und das gilt auch für Eure Synode – nicht die Sitzung einer liberalen Partei ist, sondern eine Ver-sammlung von Heiligen, eine communio sanctorum.
Und weiter versuchen Sie gerade den Italienern zu erklären, dass die Heiligen keine Menschen guten Willens sind, sondern lauter Sünder denen vergeben wird. Ausgesprochen gerechtfertigte Sünder. Simul justi et peccatores, die auf ständige Buße angewiesen sind. Sagen Sie, dass, wenn wir in einer Synode Sünde bekennen, dann meinen wir wirklich die Sünden der Frommen, die Sünden der Kirche, auch die Sünden der Amtsträger, auch die Sünden der Kirchenleitung.
Erklären Sie bitte, dass hier alles vor Gott und vor dem Volke Gottes geschieht. Vor Gott sind alle Beratungen und Beschlüsse, und nicht nur symbolisch, in einen gottesdienstlichen Rahmen gestellt. Die Sy-node wird eröffnet mit einem Wortgottesdienst und wird durch eine Abendmahlsfeier geschlossen, nach den Wahlen der Kirchenleitung und den anderen leitenden Gremien. Vor dem Volk Gottes, ohne Ge-heimnisse, öffentlich, Haushalt und Defizite inbegriffen. Hier, in einer reformierten Synode, kann man sogar gegen die Kirchenleitung de-monstrieren.
Und erklären Sie auch, liebe Journalistin, dass dieses Volk, vor dem alles geschieht, aus Laien besteht – Männern und Frauen – und fügen Sie noch dazu, dass auch die Pfarrer Laien sind. Ich weiß, dass Sie das alles sehr sympathisch und modern empfinden. Aber erklären Sie bitte, dass wir uns nicht als eine an den Geist der Moderne angepasste Vereinigung verstehen, sondern als ein Teil der einen heiligen, aposto-lischen und katholischen Kirche. Ja, Sie haben richtig gehört, ich habe katholische gesagt. Wissen Sie, nur hier in dieser kleinen Provinz der globalen Welt denkt man, dass nur römisch auch und gleichzeitig und deswegen katholisch ist. Haben Sie es bemerkt während der Sitzun-gen, dass wir ganz bewusst und auch stolz „sehr verehrter Herr Prä-ses“ oder „sehr geehrte Moderatorin“ sagen, oder „lieber Bruder Schneider“ oder sogar „lieber Nico“ sagen und nicht „Heiliger Vater“ oder „Heilige Mutter“. Und wissen Sie warum? Nicht, weil wir denken, dass wir respektable Herren sind, die sich höflich ansprechen und/oder wie zwischen alten Freunden, sondern weil wir der Überzeugung sind, dass der Heilige Vater vor uns und unter uns steht, seiner Verheißung entsprechend.
Wir beraten auch mit heftigen Diskussionen, dabei handelt es sich aber nicht nur um das Temperament der Italiener, die wir auch sind. Es ist eine Leidenschaft zur Sache. Wir beschließen nach der Mehrheit wie in der Demokratie, und tatsächlich glauben wir etwas zu ihrer modernen Fassung beigetragen zu haben, aber wissen Sie warum? Weil wir kei-nen besseren Weg kennen, um zu prüfen, was Gottes Wille ist, näm-lich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene (Röm. 12,2), als uns dem Wort Gottes im Gebet zu beugen und in der Gemeinschaft der Heiligen in der Freiheit und Verantwortung von Christenmenschen zu beraten, zu beschließen und auch abzustimmen, wohl wissend, dass es sich dabei um eine menschliche Verantwortung handelt, die von Gott dementiert werden kann. Auswege gibt es nicht. Liebe Jour-nalistin, ich könnte weiter erläutern, aber die Zeit ist zu knapp, heute vor allem. Wenn es Ihnen gelingen würde, Ihre Leser das Wesentliche des eben Gesagten verstehen zu lassen, dann hätten Sie Ihren Knaller gefunden.
Zweitens und kürzer zur geistigen Lage Italiens:
Ich schlage Ihnen vor, dass Sie aus Europa immer nach Italien schau-en – im religiösen Bereich ist Italien wie die USA. Die nächste Mode kommt in Mc Donald usw. aus Amerika; im religiösen Bereich kommt die nächste Mode aus Italien. Wir haben den Eindruck, es sei eine Gegenreformation im Gange. Das heißt, die Ergebnisse des 2. Vatika-nischen Konzils werden interpretiert in Kontinuität mit der Tradition, und damit will man vor allem den fortgeschrittenen Katholiken sagen: „Es hat nichts Neues angefangen.“ Und es gibt keinen Bruch mit dem Mittelalter. Es gibt in Italien eine wachsende Gruppe von berühmten Politikern und Intellektuellen, die sich ausdrücklich selbst so nennen: „Wir sind fromme kirchentreue Gottlose. Wir glauben nicht an Gott, wir haben dieses Geschenk des Glaubens nicht erhalten, aber für die Kir-che stehen wir da, weil die katholische Kirche das wesentliche Teil der italienischen Identität ist.“ Und so entwickeln sie eine politische Strate-gie, um die gesellschaftliche Relevanz der Kirche zu sichern. Die Staatsreligion ist vorbei. Man versucht heute den Katholizismus als civil religion einzuführen. Die konfessionelle Ethik der katholischen Kirche wird immer propagiert als allgemeiner Wert. Und man sagt, die katholi-sche Kirche sei fachkompetent für menschliche Fragen, vertrete damit kein konfessionelles Anliegen. Und neulich wurden sogar die italieni-schen Politiker belehrt, Laizität sei eigentlich gut, aber sie müsse recht verstanden werden und gut orientiert sein. Dafür stehen die Fachexperten.
Was machen wir als Waldenser in dieser Situation der Gegenreforma-tion? Zweierlei: Ich glaube, wir müssen zuerst einfach und mutig wider-stehen. Dagegen kämpfen, zugunsten des Pluralismus der italieni-schen Demokratie, aber auch zugunsten der Verkündigung des Evan-geliums. Aber gleichzeitig und genauso leidenschaftlich und engagiert müssen wir und wollen wir ökumenisch arbeiten. Wir fühlen uns den vielen römisch-katholischen Mitchristinnen und Mitchristen, inkl. einiger Bischöfe und Kardinäle verpflichtet, mit denen wir bisher so weit ge-gangen sind. Und darauf wollen wir nicht verzichten.
Letzter Punkt:
Aus Rom beobachten wir von einer privilegierten Stelle, wie die Vertre-ter des Protestantismus sich in Rom bewegen, wenn sie den Papst besuchen. Neulich – ich werde Ihnen den Namen nicht verraten – hat ein Vertreter einer weltweiten protestantischen Organisation dem Papst beste Wünsche für „sein Amt des Nachfolgers Petri“ geäußert. Wenn Ökumenismus ein Sport wäre, könnten wir sagen, dass heute Spiel-platz, Mannschaften, Regeln, Kalender usw. in Rom und von Rom be-stimmt werden. Und alle Teilnehmer werden nach den Maßgaben von Rom gemessen. Und das setzt sich auch unter uns immer mehr durch. Und es verbreiten sich merkwürdige Sehnsüchte, schlimmer noch, Minderwertigkeitsgefühle! Als ob wir wirklich an einem Defizit von Ordi-nation litten und als ob wirklich die Apostolizität unserer Kirchen tat-sächlich ein bisschen krank wäre. Einige schweigen bei den Protestan-ten, andere passen sich an und reden eine Sprache und benutzen Kategorien, die uns bisher fremd waren. Alle beschränken sich darauf, zu reagieren, statt das Spiel zu gestalten.
Ein Film eines italienischen Regisseurs Nani Moretti kommt mir in Er-innerung. Man sieht einen alten militanten Linken, während er die Rede des Sekretärs der Partei, die aus der alten Kommunismuspartei her-vorgegangen ist hört; und der erklärt alles so schön. Und dann plötzlich sagt dieser Mann: „Sagt doch mal endlich was Linkes!“ Und daran denke ich, wenn ich so viele Vertreter des Protestantismus höre, und ich möchte Ihnen sagen: Sag doch mal endlich was Reformatorisches, bitte. Dass der europäische Protestantismus sich mit einer hörbaren und gemeinsame Stimme äußert und dass diese Stimme möglicher-weise etwas Reformatorisches sagt, ist heute eine ökumenische Not-wendigkeit, und dafür plädieren wir immer in meinem Land. Sind wir in der Lage, als Protestanten Europas einstimmig etwas der Öffentlichkeit zu sagen? Wir sollten es mindestens versuchen. Ich schließe diese schon zu lange Rede mit einem Zitat eines sehr berühmten Italieners, der soviel für Euer Land geleistet hat. Sein Name ist Trappatoni: „Ich habe fertig!“