Pressemitteilung

Predigt im Eröffnungsgottesdienst

Landessynode 2006

  • Nr. Pressemitteilung T1/2006 - Achtung, Sperrfrist: Sonntag, 8. Januar 2006, 17 Uhr. Es gilt das gesprochene Wort!
  • 8.1.2006
  • 10317 Zeichen

Predigt im Eröffnungsgottesdienst
von Oberkirchenrat Jürgen Dembek


anlässlich der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland
am Sonntag, 8. Januar 2006



Der für den heutigen Sonntag, den ersten nach Epiphanias, vorgeschlagene Predigttext, liebe Gemeinde, steht im 1. Korintherbrief. Ich lese aus Kapitel 1 die Verse 26-31:


26 Seht doch, liebe Schwestern und Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen.
27 Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist;
28 und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist,
29 damit sich kein Mensch vor Gott rühme.
30 Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung,
31 damit, wie geschrieben steht (Jeremia 9,22-23): »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!«


„In der prächtigen Dorfkirche tritt der hochwohlgeborene, hochwürdige geheime General-Oberhofprediger auf, der auserwählte Günstling der vornehmen Welt; er tritt auf vor dem Kreis von Auserwählten und predigt über den von ihm ausgewählten Text: ‚Gott hat auserwählt das Geringste vor der Welt und das Verachtete’ – und da ist niemand, der lacht.“ Mit bitterer Ironie, liebe Schwestern und Brüder, zeichnet Sören Kierkegaard diese Szene zum Predigttext.


Würden Sie lachen, wenn ein von Ihnen erwählter Oberkirchenrat, wohlbestallt und wohlbeleibt, mit wohlgesetzten Worten diese Gottesdienstgemeinde in Bad Neuenahr mit der Gemeinde in Korinth direkt und unmittelbar identifizieren würde? „Seht doch, liebe Synodale, auf Eure Berufung. Was töricht ist vor der Welt, was schwach ist, das Geringe und Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist.“ Und da ist niemand, der lacht. Könnte es sein, dass es für uns gar nichts zu lachen gibt, wenn das die Kriterien sind, nach denen Gott erwählt, beruft: Torheit, Schwachheit, Machtlosigkeit, Armut? Ist das das Idealbild für Christinnen und Christen, für Gemeinden und Kirche? Die Kirche ohne Privilegien, die arme Kirche als die wahre Kirche? Die Gemeinde in Korinth als Mustergemeinde? Wie stehen wir dann da? Wie können wir dem entsprechen?


Sollten wir versuchen, liebe Gemeinde, uns arm und schwach zu machen? Im übertragenen Sinn: Auch wir sind schwach, schwach im Glauben und Vertrauen – oft genug; auch wir sind arm, arm an Hoffnung und Liebe – immer wieder, und soviel Macht und Einfluss haben wir eigentlich auch nicht.
Der Versuch fruchtet nichts, fürchte ich.
Was Paulus meint, ist ganz reale Armut – Armut zum Sehen, zum Riechen, zum Greifen. Wenn er von Schwachheit schreibt, von Machtlosigkeit und Verachtung, dann ist das Existenz bestimmende und bedrohende Wirklichkeit. Das trifft auf uns und unsere Kirche nicht zu. Wir sind keine arme, schwache Kirche – trotz rückläufiger Finanzmittel und schwindender gesellschaftlicher Reputation. Wir haben Gestaltungsräume und
-möglichkeiten, unserem Auftrag nachzukommen, auch bei sich ändernden Rahmenbedingungen. Unsere Kirche arm und schwach zu nennen, wäre ein Etikettenschwindel und ein Hohn für die Kirchen, die wirklich arm, verachtet, machtlos sind.


Wie steht es also um unsere Berufung, liebe Schwestern und Brüder? Nun, Paulus hatte die Gemeinde in Korinth an das Kernstück seiner Verkündigung, an das Wort vom Kreuz erinnert, das die Weisheit der Welt zur Torheit macht und einen Gekreuzigten zu Gottes Kraft und Weisheit. Eine Botschaft, die das Oberste zuunterst kehrt, weil Gott genau das getan hat, das Oberste zuunterst gekehrt, besser: den Obersten, sich selber.
Ja, es hat dem Allmächtigen gefallen, im Holz der Krippe und am Holz des Kreuzes schwach und arm und verachtet und ohnmächtig zu werden. Wenn im Zusammenhang mit dem Kreuz von einem Opfer die Rede sein soll, dann von dem Opfer göttlicher Jenseitigkeit, göttlicher Unberührtheit, vom Opfer der Gegensätzlichkeit Gottes gegenüber seinem sündigen Geschöpf. Im Gekreuzigten, in diesem schwachen Menschen am Kreuz sehen wir Gott und uns beieinander. Da sehen wir Gott in seiner Schwäche für uns.
Kaum zu glauben, nicht wahr? Schon damals in Korinth nicht. Dass der große Gott schwach und arm wird, weil er eine Schwäche für uns Menschen hat, und dass er in dieser Schwäche sich an die Seite der Schwachen und schwach Gemachten, der Unbedeutenden, der Erniedrigten stellt.


Obwohl – so war er eigentlich immer; die Geringen, Verachteten hat Gott berufen, um mit ihnen Geschichte zu machen: Mose, ein Totschläger und sprachbehindert, den jugendlichen Schafhirten David, Rahab, die Hure, und die Ausländerin Ruth. Für Fremde und Witwen und Waisen war er da.


„Ihr könnt’s nicht fassen!? Dann seht euch doch selber an!“ so Paulus. „Ihr seid doch ein Beispiel dafür: Nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene nach den Maßstäben der Welt sind in eurer Gemeinde. Gott hat euch berufen: töricht, schwach, verachtet vor der Welt.“ Kein Idealbild von Kirche ist die Gemeinde in Korinth also, sondern ein Beispiel dafür, wie Gott unsere Maßstäbe und Wertskalen verkehrt, weil er das Oberste zuunterst gekehrt hat.


Wir, liebe Gemeinde, unsere Gemeinden, unsere Landeskirche sind als Beispiel wohl nicht so geeignet; und doch finden wir uns dann wieder Seite an Seite mit der Gemeinde in Korinth, wenn es darum geht, warum denn Gott erwählt hat, was töricht und schwach ist: Damit er die Weisen zuschanden mache und, was stark ist, und zunichte mache, was etwas ist – damit sich kein Mensch vor Gott rühme; nicht seiner Leistungen, seiner Gaben und Güter und Fähigkeiten, aber auch nicht seiner Armut und Schwäche und Erniedrigung.
Nichts haben wir zu bieten, nichts müssen wir mitbringen und einbringen, wenn Gott erwählt, beruft. Das ist so, wie ganz am Anfang, als er aus dem, was nichts ist, seine Schöpfung erschuf. Dass er uns Menschen erwählt und beruft, das liegt einzig und allein an seiner Schwäche für uns. Er kann und will nicht ohne uns sein.


Deshalb, liebe Schwestern und Brüder, hat der Allmächtige entschieden, zum Windelträger zu werden und die Ohnmacht menschlicher Windelträger zu teilen. Welche Hoffnung für Menschen, die Windeln tragen! Gott verbürgt sich für sie; mag ihr Leben auch noch so entstellt und beeinträchtigt sein – Gott garantiert seine Würde, seinen Wert. Welche Hoffnung für die, die Menschen in Windeln pflegen und betreuen! Wenn Gott ihre Ohnmacht teilt, dann können sie den unbeantworteten Fragen standhalten und die aussichtslosen Situationen aushalten.


Weil er ohne uns nicht sein kann und will, hat der Allmächtige entschieden, zum Dornenträger zu werden. Er hat unsere Tränen geweint, unsere Schmerzen getragen und ist am Ende unseren Tod gestorben. Welche Hoffnung für die, deren Leben auch in weihnachtlichen Freudenzeiten dunkel und traurig ist! Vielleicht weil sie es im Schatten einer lebensbedrohlichen Krankheit führen müssen. Vielleicht weil ein geliebter Mensch fehlt. Vielleicht weil die Beziehung zerbrach, die Familie auseinandergerissen ist. Der liebe Gott im Himmel bleibt in solchen Situationen stumm. Der Windel- und Dornenträger weiß, wie Menschen zumute ist in Leid, Verlassenheit, Ausweglosigkeit. In seiner Nähe können wir Geborgenheit suchen und auch finden und mindestens den Anfang, den Keim des Trostes.
Wie gesagt: Gott kann und will nicht ohne uns sein. Und er will, dass wir bei ihm sind – da, wo er ist. Wir sind zwar keine arme Kirche, aber eine Kirche für Arme, Erniedrigte, Leidende, für Orientierung und Sinn Suchende – sonst sind wir nicht da, wo er ist, liebe Gemeinde.
Das werden wir beim Prioritäten Setzen und Strukturen Verändern im Sinn behalten. Und wir werden die Würde und den unverlierbaren Wert derer wahrnehmen und wahren, denen Gott sich zugesellt.


Mit ihm zusammen sind wir für sie da – ausgestattet mit Gaben, die Gott uns gratis zueignet. Als zu Christus gehörig, als Berufene, Auserwählte – durch die Taufe, an die Paulus dabei denkt – haben wir Anteil an der Weisheit, die erkannt hat, dass wir uns Gott verdanken, und die sich deshalb auf ihn verlässt. Und an der Gerechtigkeit, die Gott uns schenkt: Wir sind Gott recht, wir haben Heimatrecht bei ihm. Geheiligt sind wir und brauchen deshalb nicht von selbst zu glänzen; Gott hilft uns so zu werden, wie er uns mag – sinnvoll für uns und gut für die Menschen um uns her. Und erlöst sind wir: Wer immer wir waren, Gott lässt uns neu anfangen, mit sich, mit uns selbst, mit den anderen – und das nicht nur einmal.


Sich das sagen zu lassen, liebe Schwestern und Brüder, ist das Eine. Es von sich selbst zu sagen und sich des Herrn zu rühmen: Ich bin erlöst, geheiligt, gerecht, weise – ist wohl eher ungewohnt, vielleicht schwierig, obwohl ja eigentlich Grund zum Lachen, zur Freude oder wenigstens doch zu gelassener Heiterkeit. Leichter ist es möglicherweise, mitzusprechen, nachzusprechen – erlesene Worte – von Hanns Dieter Hüsch zum Beispiel:



„Ich bin vergnügt
erlöst
befreit
Gott nahm in seine Hände
Meine Zeit
Mein Fühlen Denken
Hören Sagen
Mein Triumphieren
Und Verzagen
Das Elend
Und die Zärtlichkeit


Was macht dass ich so fröhlich bin
In meinem kleinen Reich
Ich sing und tanze her und hin
Vom Kindbett bis zur Leich


Was macht dass ich so furchtlos bin
An vielen dunklen Tagen
Es kommt ein Geist in meinen Sinn
Will mich durchs Leben tragen


Was macht dass ich so unbeschwert
Und mich kein Trübsinn hält
Weil mich mein Gott das Lachen lehrt
Wohl über alle Welt.“


Amen.