Pressemitteilung

Voran kommen die, die miteinander leben

Inklusion (2)

  • Nr. Inklusion für Menschen mit körperlichen oder geistigen Handicaps ist Haupt- und Querschnittthema der Landessynode 2013. Fragen an den für Bildung zuständigen Oberkirchenrat Klaus Eberl.
  • 10.1.2013
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Die Integration ist noch längst nicht erfolgreich beendet, jetzt steht schon das nächste Konzept auf dem Programm, die Inklusion. Was ist der Grund dafür?

Die Frage ist, wer sich verändern soll. Bei der Integration liegt der Blick auf Menschen mit Behinderungen, welchen Unterstützungsbedarf haben sie, damit sie am gemeinsamen Unterricht teilnehmen können? Die Inklusion hat einen anderen Blick. Sie fragt danach: Wie muss sich das System verändern, damit es auf unterschiedliche Bedürfnisse und Lernanforderungen angemessen reagieren kann – wenn wir das jetzt mal auf den Bildungsbereich beziehen. Insofern ist das ein Paradigmenwechsel.

Was ist bisher falsch gelaufen?

Das deutsche Bildungssystem ist wie in keinem anderen Land ein separierendes System, und nun versuchen wir die Dinge wieder zusammen zu bringen, die zusammen gehören, weil Menschen untereinander Gemeinschaft brauchen, weil Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen und Begabungen sich gegenseitig ergänzen. Dieser Prozess wird jetzt durch die Behindertenrechtskonvention und den erstmal sehr abstrakten Begriff der Inklusion sehr angestoßen.

Diese 2006 verabschiedete UN-Konvention fordert eine gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben. Die Kirchen sind in dieser Frage schon lange engagiert, inwiefern ist das für Sie auch eine theologische Frage?

Weil wir theologisch verstanden haben, dass jeder Mensch so wie er ist, mit all seinen Begabungen, aber auch mit all seinen Problemen und Schwächen, ein geliebtes Gegenüber Gottes ist. Und jeder ist so wie er ist unverzichtbar. Deshalb muss man gemeinsames Lernen und gemeinsames Leben voranbringen.

Sie haben einmal gesagt, dass das für Sie ein Lebensthema ist?

Ja, das ist mein Lebensthema, ich bin deshalb Theologe geworden. Das hat mich von Anfang an fasziniert. Ich war Zivildienstleistender in einer Einrichtung für schwerst mehrfachbehinderte Kinder und da sind mir viele Dinge, die ich vorher nur von Ferne kannte oder ahnte, in meinem Glauben ganz elementar und konkret wichtig geworden. Also dass jeder Mensch Gottes Ebenbild ist, und dass es nicht davon abhängt, was einer kann und welche Intelligenz oder welchen IQ jemand hat. Paulus hat eine bestimmte Vorstellung von Gemeinde, er sagt: „Es gibt einen Leib Christi, da ist jeder wichtig, sonst ist der Leib nicht ganz.“ Das in konkrete Arbeit umzusetzen und in einer Kirchengemeinde zu leben und erlebbar zu machen, das ist für mich die ganz große Herausforderung.

Wie kommt es, dass das seit damals Ihr Thema geblieben ist?

Ich habe damals nicht nur Zivildienst gemacht, sondern später auch die Gruppenleiterin geheiratet. Das heißt, bei uns ist dieses Thema jeden Tag zu Hause auf der Tagesordnung. Meine Tochter ist Sonderpädagogin, ich selber habe in Russland in Pskow das Heilpädagogische Zentrum gegründet. Und ich habe von Menschen mit Behinderungen ganz viel gelernt. Sie haben mich sehr geprägt. Das ist ein großer Schatz in meinem Leben.

Was haben Sie zum Beispiel gelernt?

Ich habe gelernt, dass es gut ist, auch zu dem zu stehen, was man nicht kann. Und darauf zu vertrauen, dass man nur gemeinsam vorankommt. Nicht die Einzelkämpfer kommen voran, sondern die, die so miteinander leben, dass sie wissen: Ich brauche den anderen zu meiner Ergänzung. Das war eine ganz wichtige Erfahrung für mich.