Pressemitteilung

Lesehilfe für den Präses-Bericht

Nikolaus Schneider berichtet der Landessynode

  • Nr. 9 / 2006
  • 9.1.2006
  • 25025 Zeichen


Im Folgenden sind wesentliche Passagen (Wortlautzitate) aus dem Bericht über die für die Kirche bedeutsamen Ereignisse, den Präses Nikolaus Schneider, der Landessynode heute – Montag, 9. Januar 2006, – vorgelegt hat, thematisch sortiert und mit Verweisen auf die entsprechenden Seiten versehen. Der komplette Präses-Bericht ist im Internet unter www.ekir.de/landessynode nachzulesen.


 


Zum Abendmahl / Zur Diskussion um den Beschluss der Landessynode 2004 (Thema der Landessynode 2007, d. Red.), S. 7/8


„Versucht man diese bis heute geführte Diskussion auf den unterschiedlichen Foren zu bilanzieren, so ergeben sich facettenreiche Aspekte, bei denen diejenigen mit positiver Würdigung deutlich überwiegen. Es konnte eine Verständigung darüber erreicht werden, worüber man sich einig ist:



1. Das zentrale Anliegen des Synodalbeschlusses wird geteilt, nämlich der Gefahr zu wehren, dass bei der Feier des Herrenmahles die Kirche über den Herrn verfügt.


2. Gliedkirchen der EKD sollten sich in bekenntnisrelevanten Fragen vor einer Entscheidung um den Konsens mit anderen Gliedkirchen bemühen. Gleichzeitig gilt aber auch, dass Gliedkirchen frei sind, Entscheidungen zu treffen, bei denen ein Konsens mit den anderen Gliedkirchen (noch) nicht zu erreichen war.


3. Die Taufe ist die grundlegende Voraussetzung für die Teilnahme am Mahl des Herrn.


4. Der Titel des Beschlusses „Eingeladen sind alle…“ ist missverständlich. Nicht „alle“ werden zum Mahl des Herrn eingeladen. Voraussetzung für die Teilnahme ist – wie es der Beschluss formuliert – „die den je eigenen Möglichkeiten entsprechende Fähigkeit, wahrzunehmen und zu empfangen, was uns geschenkt wird, wenn in diesem Mahl Jesus Christus sich selbst gibt“ (Beschluss Nr. 34, S. 7).


5. Die Kirche muss in Verantwortung vor ihrem Herrn zur Lehre und zum Verhalten ihrer Glieder in bestimmten Situationen auch Nein sagen. Dieses Nein kann nicht nur in Verkündigung und Seelsorge ausgesprochen, sondern muss auch durch rechtliche Maßnahmen wie den zeitweiligen Entzug von Mitgliedsrechten vollzogen werden.


6. Mit dem Ausschluss Einzelner aus der Kirche und Kirchenspaltungen ist nach dem Neuen Testament eine implizite Aufkündigung von Abendmahlsgemeinschaft verbunden.


(…) Insgesamt lässt sich sagen, dass die anfangs heftig geübte Kritik zu diesem Synodalbeschluss durch die intensive Diskussion eine entscheidende Versachlichung erfahren hat. Wir sind deshalb auf einem guten Weg.“


Zur Situation Israels / Zur antiisraelischen Hetze durch den iranischen Präsidenten,S. 10/11


„Israel hat ein Recht auf einen Staat mit anerkannten und sicheren Grenzen und ein Recht auf ein Leben in Gerechtigkeit und Frieden.


Ein besonderes Augenmerk müssen wir schließlich darauf richten, dass Israel nicht in einem Strudel der Gewalt untergeht. Dazu gehört, für einen gerechten Ausgleich der Interessen zwischen Palästinensern und Israel zu werben, Israel auf den Weg des Respektes gegenüber allen Rechten der Palästinenser zu verweisen und beharrlich dafür zu werben, dass Israel nicht allein seiner militärischen Kraft vertraut.


Dazu gehört aber auch ganz entschieden, den Hass- und Hetztiraden des iranischen Staatspräsidenten entgegenzutreten. Sie waren kein Ausrutscher. Sie waren nicht das Resultat der Unerfahren- und Unwissenheit eines neuen Staatspräsidenten. Sie fanden begeisterte Zustimmung im Iran. Kenner behaupten: sie treffen auf die heimliche Zustimmung vieler Repräsentanten muslimischer Staaten. Solche Äußerungen müssen deshalb Konsequenzen nach sich ziehen: für die Geschäfte etwa, die die deutsche Wirtschaft und alle Freunde Israels mit dem Iran betreiben. Und ich persönlich kann mir auch nicht vorstellen, dass Repräsentanten dieses Staates gerade angesichts der deutschen Schuld gegenüber Jüdinnen und Juden in unserem Land an einer Fußballweltmeisterschaft teilnehmen – so, als wären die Hetz- und Hassreden nicht gehalten worden.“


Zum Papstbesuch, S. 12
„Papst Benedikt XVI. betonte (…), für ihn habe die Wiedererlangung der vollen sichtbaren Einheit der Christen „Priorität“. Einheit der Kirche meine nicht Rückkehrökumene, sondern Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit.


Diese Begegnung am 19. August war noch kein ökumenischer Durchbruch, vor allem nicht in Bezug auf das gemeinsame Abendmahl in konfessionsverbindenden Ehen und in ökumenischen Gottesdiensten. Wohl aber war diese Begegnung eine Vergewisserung auf dem gewundenen und steinigen Weg der Ökumene, zu dem es nach dem Willen des Herrn der Kirche keine Alternative gibt.


Identität und Differenz, Differenz und Verständigung, Verständigung und Gemeinschaft – das sind die Leitworte einer „Ökumene der Profile“ (Formulierung von Bischof Huber, d. Red.), die wir gegenwärtig anstreben und mit Leben zu füllen versuchen.“


 


Zum Stand der Ökumene, S. 14


Im engeren Bereich unserer Landeskirche gibt es erfreuliche Entwicklungen. Die Zahl der von der Landessynode 2001 empfohlenen Partnerschaftsvereinbarungen zwischen evangelischen Kirchengemeinden und römisch-katholischen Pfarrgemeinden tendiert mittlerweile gegen 40, und es sind weitere im Gespräch. Am 26. November 2005 haben Kardinal Meisner und ich in St. Aposteln in Köln mit einer ökumenischen Adventsvesper den Beginn des neuen Kirchenjahres gefeiert. Es ist beabsichtigt, mit der ökumenischen Vesper eine Tradition zu begründen und künftig jährlich am Vorabend zum 1. Advent und zum 1. Fastensonntag einen solchen Gottesdienst abzuhalten.


Am 26. März 1996 wurde in Düsseldorf die „Vereinbarung der Evangelischen Kirche im Rheinland zwischen dem Erzbistum Köln sowie den Bistümern Aachen, Essen, Münster und Trier zur gegenseitigen Anerkennung der Taufe“ unterzeichnet. Absicht dieser Übereinkunft war und ist es, die in Christus gegebene Einheit in der Taufe deutlicher zum Ausdruck zu bringen und Unstimmigkeiten über den gültigen Vollzug der Taufe möglichst auszuschließen. Diese Absicht hat sich im Laufe der vergangenen zehn Jahre erfüllt. Die Vereinbarung hat darüber hinaus dazu geführt, dass sich zwischen unseren Kirchen eine geistliche Verbundenheit entwickelt hat, die auch bei bleibenden Unterschieden und Irritationen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ermöglicht. Dies ist ein Anlass zu Dankbarkeit und Freude.


Deshalb wollen Kardinal Meisner und ich am 4. März im Altenberger Dom mit einem festlichen Taufgedächtnisgottesdienst an die Unterzeichnung erinnern. Dem Gottesdienst wird ein Symposium zu dem Thema „Ihr sollt meine Zeugen sein – die Taufe als Tor zu einem gemeinsamen Leben in Christus“ vorangehen.“


 


Zur Familie, S. 15-17


„Nach unserem jüdisch-christlichen Schöpfungsglauben und Menschenbild hat Gott uns Menschen als ihm und einander verantwortliche Gemeinschaftswesen geschaffen. Das bedeutet, Menschen – Männer und Frauen – haben von Gott die Fähigkeit und den Auftrag erhalten, Leben weiterzugeben und die Verantwortung für die Ausgestaltung unserer Gemeinschaften und unseres Gemeinschaftslebens wahrzunehmen.


Das bedeutet nicht, dass Gott den Menschen gleichsam in einer Schöpfungsordnung ein bestimmtes und verbindliches Partnerschafts- und Familienmodell befohlen hätte. So haben sich auch im jüdisch-christlichen Denken und Leben im Verlauf der letzten Jahrhunderte die Formen und inhaltlichen Ansprüche von Partnerschaften und Familien ganz wesentlich verändert.


So wenig, wie wir es unserem Urvater im Glauben, Abraham, als „Sünde“ anrechnen, dass er mit der Magd seiner Frau einen Sohn zeugte, so wenig sind wir heute gewillt, diesen Weg kinderlosen Ehepaaren zu empfehlen.


Gemeinschaftsgerechtigkeit ist für uns heute die Leitvorstellung für das Zusammenleben in Partnerschaften. Unter dieser Prämisse verzichten wir auf Moralisierungen gegenüber den verschiedenen Formen von Familie, die es heute in unserer Gesellschaft gibt. Aber wir halten fest, dass wir Gott, unserem Schöpfer, verantwortlich sind für unser Leben und für das zukünftige Leben auf dieser Erde.


Und das bedeutet insbesondere auch: Wir sind Gott dafür verantwortlich, wie wir in unseren Beziehungen das Leben weitergeben und Partnerschaften, Familien und Gemeinschaften leben.“


Zur Wegweisung aus der Bibel, S. 17
Auch wenn Gottes Wort uns keine bestimmten Modelle vorschreibt, so gibt uns die Bibel doch deutliche Wegweisung und Leitbilder:


Liebe deine Nächsten wie dich selbst.


Also nimm die Gefühle, Wünsche und Pläne deiner Partnerin und deines Partners so ernst und so wichtig wie deine eigenen.


Ehre Vater und Mutter.


Also achte die alten Menschen (dieses Gebot ist nicht an Kinder, sondern an Erwachsene gerichtet!), auch wenn sie krank, dement und altersstarrsinnig sind, auch wenn sie für Gesellschaft, Krankenkassen und Pflegeversicherungen einen hohen Kostenfaktor darstellen.


Wenn ein Kind dich morgen nach Gott fragt, dann erzähle ihm von deinem Gottesglauben und von deinen Gotteserfahrungen.


Also lass die Geschichte Gottes mit uns Menschen und die Geschichte von uns Menschen mit Gott nicht abreißen.


Lass deine Nächsten nicht fallen und verlasse sie nicht, auch wenn ihre Lebenskraft und ihre Lebenszeit zu Ende gehen.“


Zur Begleitung Sterbender, S. 17/18


„Also entziehe den Sterbenden und den Trauernden nicht deine Hilfe und Begleitung. Achte die Sterbensphase als wichtigen Teil des Lebens, ermögliche den Sterbenden Menschenwürde bis zuletzt. Gestalte Trauerrituale, die auf die persönliche Situation der Betroffenen eingehen.


Sterbebegleitung und Trauerkultur sind und waren von den Anfängen christlicher Gemeinden an ureigene Orte christlicher Spiritualität und Diakonie. Wir müssen uns heute neu fragen, wie wir in einer säkularen und individualisierten Kultur von dem „einigen Trost im Leben und Sterben“ so Zeugnis geben, dass es den Menschen zu Kopf und ins Herz geht, dass es sie tröstet und ihnen das Gottesreich aufschließt.


Ein wichtiger und wohltuender Beitrag unserer Sterbegleitung ist die Hospizarbeit. Sie zu erhalten und weiter auszubauen, muss ein wesentliches Anliegen unserer Kirche bleiben. Allen dort Tätigen danke ich für einen Einsatz, der die Bereitschaft erfordert, auch von der eigenen seelischen Stärke an die Sterbenden und ihre Familien abzugeben.“


 


Zur Kirche und Gottes Geist, S. 19


„Was und wie viel hat der lebendige Gott mit den Strukturen und den gegenwärtigen Strukturprozessen unserer Kirche zu tun? Das ist und bleibt die Frage, die wir als Synodale, als Kirchenleitung und als Landeskirchenamt nicht aufgeben dürfen, sonst geben wir uns selber auf!


Wahr ist, dass Gottes Geist und Gottes lebendiges Wort sich nicht durch unsere kirchlichen Strukturen einfangen und begrenzen lassen. Wir verfügen nicht die Gegenwärtigkeit des lebendigen Geistes Gottes.


Wahr ist aber auch, dass gottlose und geistlose Kirchenstrukturen – nicht aber Finanznot und demographischer Wandel – die Grundlage und die Existenzberechtigung unserer Kirche zerstören würden! Deshalb sind die ekklesiologischen Überlegungen in allen Strukturvorlagen ebenso notwendig wie der Vortrag zur ‚presbyterial-synodalen Ordnung‘, den wir auf dieser Synode hören werden.“



Zu den Reformen in Deutschland, S. 35


„Neu ist die Dringlichkeit, mit der die Veränderung der äußeren Gestalt der rheinischen Kirche betrieben werden muss. Es wäre allerdings völlig verfehlt, von einem aktuellen und plötzlich auftretendem Krisenereignis zu sprechen. Es handelt sich vielmehr um einen schleichenden Prozess des Verlustes von Gemeindegliedern, nicht weil uns etwa die Menschen in Scharen davonliefen – wie leider immer noch da und dort fälschlich berichtet wird -, sondern weil unsere Kirche Anteil nimmt an dem Rückgang der deutschen Bevölkerung in unserem Land: es sterben sehr viel mehr Menschen als geboren werden, wir beerdigen sehr viel mehr als wir taufen.


Wir müssen davon ausgehen, dass im Jahr 2025 – 2030 ein Drittel weniger Gemeindeglieder zur rheinischen Kirche gehören als heute, also ca. zwei Millionen. Das muss Konsequenzen haben für die Anzahl der Pfarrstellen und der bezahlten Mitarbeiterschaft, die Zahl und Ausstattung unserer Einrichtungen und Dienste, oder etwa die Anzahl unserer Gebäude, denn die kleinere Anzahl von Menschen kann nicht mehr so viele Dienste finanzieren, oder, um es mit einem Bild zu sagen: der Mantel muss dem kleiner gewordenen Körper angepasst werden – er wird sonst zu schwer und flattert am ganzen Körper. Und das wäre eine Behinderung und kein Schutz.


Wir werden uns also darauf einstellen, dass das Beitragsaufkommen aus unserer Mitgliedschaft sinken wird, und zwar um ein Drittel oder sogar um die Hälfte. Und je eher wir den deshalb notwendigen Anpassungsprozess planen und Grundsätze zu seiner Umsetzung beschließen, desto größere Gestaltungsfreiheit werden wir uns bewahren. Daher rührt die Dringlichkeit.


Denn wir müssen verhindern, dass es zu einem planlosen Abbau von Stellen kommt. Im Bereich der Kirchenmusik z. B. gingen in den letzten fünf Jahren 30 Prozent der Stellen verloren! Um so wichtiger, sich die Bedeutung dieses Arbeitsfeldes unserer Kirche neu zu verdeutlichen, wie es auf dieser Synode geschehen wird.


Das theologische Verständnis von Leitung und in der Folge die Ordnung unserer Kirche gebieten es, diesen Prozess transparent und unter Beteiligung aller kirchenleitender Organe, aber auch zügig und zielführend zu gestalten. Die Situation stellt sich heute so dar: Wir müssen den kurzfristigen Prozess, der auf das Jahr 2012 zielt und allein die landeskirchliche Ebene betrifft, unterscheiden von dem langfristigen Prozess, der die Jahre 2025 – 2030 im Auge hat und Konsequenzen für alle Ebenen unserer Kirche haben wird.“



Zur Entwicklungsarbeit, S. 27


„Sie wissen um die Selbstverpflichtung aller EKD-Kirchen, zwei Prozent des Kirchensteueraufkommens für den kirchlichen Entwicklungsdienst aufzubringen. Sie wissen auch, dass diese Zielmarke von nur wenigen Kirchen eingehalten wird. Unsere rheinische Kirche gehört nicht zu diesen. (…)



Mir ist sehr wohl bewusst, welches außerordentliche Engagement von vielen Kirchengemeinden, Kirchenkreisen und auch der Landeskirche auf dem Feld der Entwicklungsarbeit aufgebracht wird – nur eben: die Verlässlichkeit der Arbeit des gemeinsamen Werkes von EKD-Kirchen, verschiedenen Freikirchen und der alt-katholischen Kirche ist mittlerweile in bedenklicher Weise in Frage gestellt. (…) Diese Entwicklung ist auch deshalb ärgerlich, weil die Bundesregierung nach langem Drängen auch der Kirchen endlich ernsthafte Anstrengungen unternimmt, die Höhe der Entwicklungshilfe erkennbar in Richtung 0,7 Prozent des BSP (Bruttosozialprodukts, d. Red.) zu steigern.“


Zur sozialen Lage in Deutschland, S. 34


„Eines ist klar: bei aller Kritik am Sozialstaat deutscher Prägung ist der gesellschaftliche Grundkonsens deutlich wahrnehmbar, der an diesem Modell festhalten will. Das Wahlergebnis, das die Parteien zur Bildung einer großen Koalition nötigte, ist auch Ausdruck dieses Konsenses.


Zu entscheiden haben wir meines Erachtens die grundlegende Frage, ob das Sozialstaatsprinzip Lebensstandardsicherung oder Armutsabsicherung für die Zukunft gelten soll. Das Prinzip der Lebensstandardsicherung war eine enorme gesellschaftliche Errungenschaft. Ob sie zu bewahren sein wird, hängt von der weiteren demografischen Entwicklung und unseren Reaktionen darauf ab, in nicht zu unterschätzender Weise aber auch von der Bereitschaft unserer gesellschaftlichen Eliten, sich für ein konsensorientiertes Gemeinwesen einzusetzen bzw. es zu akzeptieren.“


Zu den Reformen in Deutschland, S. 35


„Soziale Themen und Reformvorhaben wurden in unserem Land weiter konkretisiert. Die sogenannten Hartz-Gesetze haben im letzten Jahr ein großes Regelwerk in Gang gesetzt – mit problematischen Erfahrungen der Klienten mit der neu geordneten Sozialverwaltung: Erfahrungen von Ohnmacht, Orientierungslosigkeit und Verlust. Es hat sich als falsch erwiesen, den bewährten Maßnahmen des Förderns, so wie sie von den Kirchen vor allem für Jugendliche und Langzeitarbeitslose durchgeführt wurden, die finanzielle Basis zu entziehen. Die neu propagierten Maßnahmen, einer Ideologie von Markt und privatem Wirtschaften verhaftet, haben sich als ineffizient und teurer erwiesen als unsere bewährten Programme. Sie haben zudem zum Abbau sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze beigetragen.


Arbeitsverwaltungen alleine können nur Voraussetzungen schaffen, um Arbeitslose ‚zu fördern und zu fordern’. Vor allem aber benötigen wir mehr Arbeitsplätze, damit das Fördern und Fordern nicht ins Leere läuft. Und wir benötigen das Aussprechen einiger Erkenntnisse der vergangenen Jahre:


1. Gewinne führen nicht zu mehr Investitionen in unserem Land.


2. Investitionen führen nicht zu mehr Arbeitsplätzen.



3. Es steht nicht in Aussicht, dass in absehbarer Zeit genügend sozial-versicherungspflichtige Arbeitsplätze in unserem Land geschaffen werden, von denen eine Familie leben kann.


4. Lohnzurückhaltung, Steuersenkungen, Senkungen des Sozialniveaus haben nicht zu mehr Arbeitsplätzen geführt.


5. Wir benötigen eine Verbesserung der Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der öffentlichen Hände und subventionierte Löhne bis hin zu einem zweiten Arbeitsmarkt.“



Integration / Abschiebestopp, S. 36/37


„Durch die Koalitionsvereinbarungen der neuen Bundesregierung sind wir dazu auf einem guten Weg, weil das Thema Integration zu einem Hauptthema der Innen- und Rechtspolitik gemacht werden soll. Neben einer konzeptionellen Gestaltung der Integration steht eine „Altfallregelung“ auf der politischen Tagesordnung, um die mehr als 200.000 „Geduldeten“ in Deutschland in einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu überführen. Die Evangelische Kirche in Deutschland und die Evangelische Kirche im Rheinland haben Eckdaten aufgestellt, auf die man zurückgreifen kann.“


Zur Kinder- und Familienfreundlichkeit / Zur NRW-Sozialpolitik, S. 38/39


Ein kinder- und familienfreundliches Klima ist allerdings durch familien-, sozial-, und beschäftigungspolitische Maßnahmen allein nicht herstellbar. Kinder- und Familienfreundlichkeit erfordern auch ein Bewusstsein dafür, was Erwachsene durch Kinder an Lebenssinn und Lebensfülle erfahren können. Auch die Bereitschaft, sich dauerhaft zu binden, ist wesentliche Voraussetzung für eine familienorientierte Gesellschaft.



Unsere Kirche hat die Entstehung von Bündnissen der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft unterstützt mit ihren Bildungseinrichtungen, Kindertagesstätten, ihrer Jugendarbeit, familienbezogenen Einrichtungen und mit vielen haupt- und ehrenamtlich engagierten Menschen.


Mit Freude haben wir zur Kenntnis genommen, dass die neue Landesregierung NRW eine Fülle von neuen Stellen im Schulbereich geschaffen hat. Dadurch erhöhte sich auch die Zahl der Religionslehrerinnen und -lehrer. Besonders erfreulich ist, dass das Land Nordrhein-Westfalen die geplante Kürzung der Ersatzschulfinanzierung in Höhe von 15 Millionen Euro allein für die Evangelische Kirche im Rheinland zurückgenommen hat.


Den Netzen zur Wahrnehmung der öffentlichen Verantwortung für Kinder und Jugendliche droht allerdings jetzt durch Maßnahmen, wie sie im Haushaltsentwurf des Landes NRW vorgesehen sind, ein herber Rückschlag.


Die von der alten Landesregierung beschlossene Kürzung der Pauschalen von Sach- und Investitionskosten soll beibehalten werden. Schon in den Jahren 2004 und 2005 hat das Gemeinden bewogen, ihre Einrichtungen zu schließen, weil sie die ausbleibende Unterstützung nicht kompensieren konnten. Die meisten unserer Gemeinden haben entgegen der Erwartung des Gesetzgebers wegen ihres alten Gebäudebestandes keine finanziellen Rücklagen bilden können, um eine erneute Kürzung aufzufangen.“



Zu Gewalt, Krieg und Folter, S. 40-42


Wir leben in der Dekade zur Überwindung der Gewalt, die vom Ökumenischen Rat der Kirchen ausgerufen wurde. Die Wirklichkeit scheint dem mit der Dekade ausgesprochenen Anspruch und Begehren Hohn zu sprechen. Gerade die Entstaatlichung von Kriegen durch private Armeen oder Söldnergruppen unterläuft das ethische Projekt, Gewalt durch Recht zu binden und selbst im Krieg für rechtliche Grenzen der Gewaltanwendung Sorge zu tragen. Die Organisation von Terror gehört auch in dieses Bild hinein. Seine Skrupellosigkeit, die Aufgabe der Unterscheidung von Zivilisten und Kombattanten, Anschläge auf Massenverkehrsmittel zur Ausübung reiner und zufällig treffender Gewalt sind Ausdruck eines Denkens, das hinter schon klar errungene kulturelle und zivilisatorische Fortschritte der Weltgemeinschaft zurückfällt. Es passt in dieses Bild, dass auch Staaten ohne Rücksicht auf rechtsstaatliche Normen Menschen töten lassen. Dass es solche Aktionen immer schon gegeben hat, ist uns bewusst. Neu ist, dass nicht allein verbrecherische Diktaturen solche Aktionen durchführen.



Diese Entwicklung hat fatale Folgen. Es gehen uns die Begriffe verloren, um die Sachverhalte allgemein verständlich zu beschreiben. Was bedeutet ‚Krieg gegen den Terror‘, wenn alle bisherigen Definitionen für ‚Krieg‘ nicht mehr anwendbar sind? Bedeutet es nicht: wir wenden Gewalt an, wie immer, wo immer und wann immer wir es für richtig halten und wir ignorieren die rechtlichen Bindungen von Gewalt, wenn diese unseren Interessen zuwiderlaufen?


(….)


Wir wissen, dass Folter kein neues Phänomen ist. Wir glaubten sie nach den Erfahrungen der verbrecherischen Nazi-Zeit überwunden zu haben. Nun aber müssen wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass auch demokratische Staaten offen Folter anwenden und dass – um es im sprachverwirrenden Jargon zu sagen – die ‚Nutzung der möglicherweise durch Folter gewonnen Informationen‘ in einem freien und rechtsstaatlich geordneten Gemeinwesen wie der Bundesrepublik Deutschland als möglich erachtet wird.


Dagegen sage ich: gegenüber der Folter ist eine absolute Grenzziehung notwendig. Diese Grenzlinie darf nicht überschritten werden. Der Barbarei darf die Tür nicht geöffnet werden – auch nicht der kleinste Spalt.“



Zum Internationalen Strafgerichtshof, S.42


„Es gibt auch hoffnungsstiftende Zeichen in unserer Zeit: die Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofes, auch wenn dieser von den USA, Russland und China nicht anerkannt wird. Dass ein General Pinochet der Strafverfolgung ausgesetzt ist, dass die Kriegsverbrecher der Balkankriege nicht damit rechnen können, ungeschoren davon zu kommen – das sind Zeichen dafür, dass die Kultur einer rechtsstaatlichen Zivilisation einer gewaltfrönenden Barbarei nicht hilflos unterlegen ist.“



Zur Globalisierung,
(Thema der Landessynode 2007. d. Red.), S. 44


„Sollen die Nationen und die Bevölkerungen nicht einer Diktatur der transnationalen Konzerne ausgeliefert werden, dann benötigen wir dringend Instrumente zur Ordnung der weltweiten Märkte und des Ausgleichs der Interessen zwischen Arbeit und Kapital. Denn auf Dauer ist eine Entwicklung für alle zerstörerisch, die eine immer schnellere Vergrößerung des Reichtums einer kleinen Zahl großer Kapitalvermögen verbunden mit einer weiteren Absenkung des Lebensstandards aller übrigen Schichten bedeutet.



Diese Art des Wirtschaftens geht für viele Menschen mit dem Erleiden einer strukturellen Form von Gewalt einher: der Missachtung von Gesundheitsnormen im Arbeitsprozess, ungerechter Entlohnung, Verweigerung von Selbstorganisation, physischem und psychischem Zwang. Es ist zu beklagen, dass Sklavenarbeitsverhältnisse auf dieser Welt wieder zunehmen, dass mit Kindern und Frauen gehandelt wird. Überwunden geglaubte Armutskrankheiten sind wieder auf dem Vormarsch. Auch Korruption und Bestechlichkeit sind Ausdruck eines strukturell gewaltförmigen Wirtschaftens, dem eben die Zivilisierung durch Recht und Gesetz fehlt.“